Bundesweit und auch in Lilienthal verschwinden zunehmend Kneipen und Gaststätten. In den Medien spricht man von einem Kneipensterben. Wir haben mit SPD-Mitglied Christian Wechselbaum hierüber gesprochen. Als Gewerkschaftssekretär bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) kennt er sich in der Branche aus.

Du lebst jetzt seit über zwei Jahren in Lilienthal und arbeitest bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten. Dort bist du unter anderem für das Gastgewerbe zuständig. Wie bewertest du als Branchenkenner das Kneipensterben? Ist es eine besondere Situation, die wir in Lilienthal haben oder ist das ein generelles Thema?
Nein, das was wir hier sehen, ist ein Trend, den es in der ganzen Bundesrepublik gibt. In den letzten 20 Jahren, haben nahezu die Hälfte der Wirtshäuser und Kneipen in Deutschland schließen müssen. Das betrifft insbesondere Betriebe in ländlichen Regionen.
Woher kommt das? Was sind die besonderen Probleme, die es in der Gastronomie heute gibt?
Die Gründe sind sehr vielfältig. Wir haben zum einen die Situation dass sich das Freizeitverhalten der Menschen verändert hat. Die Kneipe ist nicht mehr der Ort der Kommunikation, wie er früher war. Gleichzeitig möchte man heute etwas erleben, wenn man ausgeht. Alles hat einen Eventcharakter bekommen. Auf der anderen Seite haben Gastronomen heute ganz andere Wettbewerber, gegen die sie sich durchsetzen müssen. So bieten zum Beispiel Bäckereien, auch hier in Lilienthal, Leistungen an die früher von Gastronomen bedient wurden wie. Das ist zum Beispiel ein Frühstücksbuffet. Bauernhöfe oder Vereinsgaststätten drängen ebenfalls in den Markt vor und machen es den Gastronomen schwer.
Gibt es aus Sicht der Gewerkschaften noch spezielle Themen, die man verbessern müsste?
Meine Gewerkschaft hat die Arbeitgeber jahrelang aufgefordert, sich um bessere Arbeits- und Ausbildungsbedingungen zu kümmern. Wenn die sogenannten geburtenschwache Jahrgänge aus der Schule kommen, wird es sonst für Branchen wie das Gastgewerbe schwierig überhaupt noch Personal zu finden. In dieser Situation stecken wir heute total drin. Im Gastgewerbe herrscht ein akuter Personalmangel. Dieser ist darauf zurückzuführen ist, dass zu den schwierigen Arbeitsbedingungen, mit niedrigen Löhnen und einer oftmals unterirdischen Führungskultur kaum noch jemand arbeiten möchte. Die Ausbildungszahlen sind um die Hälfte eingebrochen und Menschen verlassen die Gastro um woanders zu arbeiten. In Ostfriesland hat in diesem Jahr das einzige Sterne Restaurant geschlossen. Und zwar ausdrücklich, weil sie kein Personal mehr gefunden haben um den Betrieb fortzuführen.
Aktuell fordert der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) sogar eine gesetzliche Öffnung der Arbeitszeitbestimmungen. Zukünftig sollen Beschäftigte ganz legal zu 13-Stunden-Schichten gezwungen werden können. Mit solchen Forderungen gießen die Arbeitgeber noch Öl ins Feuer und verschlechtern das Image des Gastgewerbes als Arbeitgeber noch weiter. Dieses branchenschädliche Verhalten muss aufhören.
Wir fordern die Gastronomen dringend auf mit uns gemeinsam an einem Kulturwandel zu arbeiten.
Wo geht der Weg für Lilienthal hin? Das klingt ja alles wenig motivierend.
Ich sehe ich das überhaupt nicht so negativ. Niedersachsen hat gerade das neunte Jahr in Folge einen neuen Tourismusrekord aufgestellt. Immer mehr Menschen kommen zu uns in den Norden um hier Urlaub zu machen. Gleichzeitig boomt auch der Städtetourismus in Bremen. Lilienthal hat durch die Linie 4 und die Verbindung von Großstadt und dem Teufelsmoor hier eine sehr attraktive Lage, die man stärker nutzen sollte. Und im Vergleich zu vielen anderen Gemeinden wächst Lilienthal. Es wohnen also immer mehr Menschen hier und damit auch immer mehr potentielle Gäste.
Wie sollten sich die Betriebe auf diese veränderten Bedingungen einstellen?
Das Wichtigste ist, dass die Betriebe akzeptieren, dass sich das Leben verändert. Neue Foodtrends werden viel zu oft ignoriert. Statt auf den Zug aufzuspringen und Burger auf die Karte zu nehmen und vegane Alternativen, wird weiterhin auf die bewährte Schnitzelplatte gesetzt. Das funktioniert heute aber nicht mehr.
Wenn man schaut, wer nach Lilienthal zieht, nämlich junge Familien, wundere ich mich, warum kaum darauf reagiert wird. Gastronomische Angebote am Vormittag für Mütter oder die Ausweisung als familienfreundliches Restaurant sind mir nicht bekannt. Ich finde es bemerkenswert, dass diese Bevölkerungsentwicklung ignoriert wird. Die Nachfrage ist jedenfalls da, wie ich es aus eigener Erfahrung weiß.
Auch kann man sein Hotel, Restaurant oder Kneipe nicht mehr so führen wie in den 80er oder 90er Jahren. Aber die Betriebe, die schließen sehen in der Regel so aus, wie aus dem vergangenen Jahrhundert. Es gibt meistens einen riesigen Investitionsstau. Natürlich ist es dann auch schwierig einen Nachfolger zu finden, wenn man in Rente geht.
Was könnte die Politik machen, um das Hotel und Gaststättengewerbe zu unterstützen?
Ich glaube die Möglichkeiten sind begrenzt. Die Arbeitgeber fordern gerne Bürokratieabbau. Damit meinen sie jedoch meistens noch weniger arbeitsrechtliche Vorschriften und Abschaffung der Mindestlohnkontrollen. Ich halte das für den falschen Weg. Umgekehrt müssten wir verstärkt Kontrollen durchführen um den schwarzen Schafen an dem Kragen zu gehen. Denn wer sich nicht an Vorschriften hält und das Personal ausnutzt, der schadet all denen, die sich bemühen ihren Betrieb ordentlich zu führen.
Wie viele Gastronomen finde ich auch, dass wir die Betriebserlaubnis beschränken müssen. Ein Restaurant dürften nur diejenigen führen, die auch fachlich dazu befähigt sind. Ähnlich wie den Meisterzwang im Handwerk. Heute darf aber jeder eine Kneipe aufmachen, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, was er da tut.
Für Lilienthal wünsche ich mir ein besseres Gemeindemarketing und positivere Außendarstellung. Die Stärken Lilienthals und das was man gemeinsam erreichen könnte, sind noch deutlich ausbaubar.